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Soeiale Briefe

an von Kirchmann.

Von

Rodbertus.

Er Re Br. e: Die foriale Bedeutung der Staatswirthſchakt.

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Berlin, 1850. Bei Friedrich Gerhard.

Vorwort.

In dieſen Briefen folgt im Weſentlichen die Fortſetzung einer vor acht Jahren von mir herausgegebenen Schrift „Zur Erkenntniß unſrer ſtaatswirthſchaftlichen Zuſtände“ ꝛc. Seit der Zeit haben mich die Erfahrungen aus mancherlei Geſchäften und Verhältniſſen in dem Grundgedanken jener Schrift nur beſtärken können: daß nämlich die Urſache des Pauperismus und der Handelskriſen in nichts Anderem liegt, als daß in der heutigen ſtaatswirthſchaftlichen Organiſation bei der ſteigenden Produktivität der Arbeit der Lohn der arbeitenden Klaſſen eine immer kleinere Quote des Nationalprodukts wird. Dieſer Gedanke iſt neu und ich nehme ihn als den meinigen in Anſpruch. Kirchmann beſtreitet indeſſen ſeine Richtigkeit in einer glänzenden Abhandlung in den demokratiſchen

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Blättern „über die Grundrente in ſoclaler Beziehung.“ Er fügt dieſer zwar noch eine zweite, „die Tauſchgeſellſchaft“ hinzu, die ſich meiner Anſicht wieder nähert, indeſſen ſcheint mir auch die letztere mancherlei Gefahren eines Abweges von der Erkenntniß der ſocialen Probleme zu bergen. Ich will daher in dieſen Briefen jenen Gedanken ausführlich zu begründen und einige der Kirchmann'ſchen Anſichten zu widerlegen ſuchen.

Rodbertus.

Erſter Briet.

Man muß es Ibnen Dank wiſſen, mein verehrter Freund, daß Sie durch Ihre Abhandlungen über die „Grund— rente in ſocialer Beziehung“ und „die Tauſchgeſellſchaft“ auch die Theorie der Staatswirthſchaft in den Kreis der demokratiſchen Blätter gezogen haben. Von der Staats— wirthſchaft verlangen gegenwärtig die größten Fragen der Geſellſchaft ihre Antwort, und man darf es vorausſagen, daß dieſe noch ſo junge und unvollkommene Wiſſenſchaft bald alle ihre Schweſtern überflügeln und ihrer Seits jenen um— geſtaltenden Einfluß auf die übrigen Staatswiſſenſchaften und die Geſellſchaft an ſich reißen wird, den in den beiden vorangehenden Jahrhunderten das Naturrecht und natürliche Staatsrecht auf dieſelben Gebiete des Wiſſens und Lebens geübt haben.

Damals lag auf der Geſellſchaft eine unerträgliche Laſt einzelner hiſtoriſcher Berechtigungen, vor welcher das vatür— liche Recht des Menſchen nicht aufzukommen vermochte. Jene Rechtsdiseiplinen, deren Grundſätze nach und nach alle ſo— eialen Wiſſenſchaften durchdrangen, bemächtigten fi vorerſt in der Theorie jener geſellſchaftlichen Hinderniſſe und ätzten ſie mit ihrer kritiſchen Schärfe bis auf den Grund fort, im

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bürgerlichen Recht bis auf die Begriffe der Freiheit der Per— fon und des Eigenthums und deren Konſequenzen, im öffent— lichen Recht bis auf den Begriff einer Regierung des Volks— willens. Die Praxis folgte den neuen Begriffen, wenigſtens im Bereiche des bürgerlichen Rechts, auf den Ferſen nach. Im öffentlichen Necht iſt der kritiſche Prozeß gegen die dem Volkswillen entgegenſtehenden Gewalten noch in der Voll— ziehung begriffen. Dann und wann wird auf dieſem Ge— biet noch ein Waffenſtillſtand zwiſchen „freien Fürſten“ und „freien Völkern“ verſucht, aber immer mehr neigt ſich auch hier der Sieg der Praxis dem Siege der Wiſſenſchaft nach, immer mehr wird auch in der Praxis des öffentlichen Rechts es kommt hler nicht auf Namen und Form, ſondern auf Sache und Weſen an nichts übrig und geltend bleiben, als die Regierung des Volkswillens.

Damit ſcheint das Recht einſtweilen ſeine Miſſion in Umgeſtaltung der Geſellſchaft erfüllt zu haben und nun ſeine Rolle an die Staatswirthſchaft abtreten zu wollen. 5

Nachdem auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts nichts übrig geblieben iſt, als die Freiheit der Perſon und des Eigenthums und deren Konfequenzen, nachdem auch auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts wenigſtens nicht ſo viel mehr übrig geblieben iſt, um den praktiſchen Erfolgen jener civil— rechtlichen Konjequ nzen hindernd im Wege zu ſtehen; nach— dem ſich auch die Regierungen nothgedrungen immer mehr anſchickten, als Regierungen des Volkswillens die Gebote der geſellſchaftlichen Vernunft auszuführen, treten plötzlich aus der Bewegung dieſes neuen Rechtszuſtandes die bedroh— lichſten Erſcheinungen hervor, die offenbar nicht durch die Kraft der Einzelnen von der Geſellſchaft abgewehrt werden

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können und gegen die daher im Namen und mit den Mit— teln der Geſellſchaft ſelbſt einzuſchreiten, die allgemeine For— derung an die Regierung ergeht.

Dieſe Erſcheinungen ſind wirthſchaftlicher Natur oder wurzeln doch in den wirthſchaftlichen Verhältniſſen der Ge— ſellſchaft.

Mit der bloßen Freiheit der Perſon und des Eigen— thums ließ nämlich das Recht für den ſtaatswirthſchaftlichen Zuſtand der Geſellſchaft Feine andere Form zurück, als die nackte Theilung der Arbeit und dazwiſchen die freie Kon— kurrenz. Aber auf ſeinem eigenen Gebiet hatte es das Grund- und Kapitaleigenthum zurückgelaſſen und deſſen ein— ſchlagende Wirkungen prägen nun der Theilung der Arbeit und der freien Konkurrenz einige eigenthümliche Züge auf.

Weil aller Boden und alles Kapital in der Geſellſchaft nicht dieſer als ſolcher, ſondern einzelnen Privatbeſitzern ge— hört, die rechtlich mit der unbeſchränkten Gewalt des Eigen— thümers über ſein Eigenthum darüber verfügen dürfen, ſo kann ſich die Theilung der Arbeit nicht als die ſtaatswirth— ſchaftliche Verbindung aller doch vom Recht als gleich frei anerkannten Geſellſchaftsglieder darſtellen, die durch ein Or— gan der Geſellſchaft, eine Behörde, nach Maaßgabe der vor— handenen geſellſchaftlichen Mittel und Bedürfniſſe, im Inter— eſſe Aller geleitet würde. Vielmehr üben jetzt die einzelnen Grund und Kapitaleigenthümer, welche die Funktionen die— fer Behörde an ſich geriffen haben, dieſelben lediglich nach Maaßgabe ihres Privatintereſſes aus, und die Theilung der Arbeit iſt auf einen beſonderen Stand, die zahlreiche Klaſſe der Arbeiter, verengt, der im Dienſt und Lohn der Grund— und Kapitaleigenthümer die ihm geheißenen Produktionen

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vornimmt. Dieſe eigenthümliche Form der Theilung der Ar— beit iſt zugleich auch auf die Vertheilung des geſellſchaftlichen Produkts von durchgreifender Wirkung. Dieſe beſchränkt ſich jetzt weder auf die Producenten, die Arbeiter, allein, noch geht ſie, wie es unter ſolcher Vorausſetzung geſchehen könnte und müßte, nach einem durch das Recht beſtimmten Maaße vor ſich. Sondern an der Vertheilung des geſell— ſchaftlichen Produkts nehmen jetzt außer den Producenten, den Arbeitern, auch die Privatbeſitzer der geſellſchaftlichen Produktivfonds Theil, und während nur der Grund, der titulus dieſer verſchiedenen Antheile rechtlich feſtſteht, bleibt deren Maaß der blinden Gewalt des Verkehrs überlaſſen. Um die Erlangung dieſes Maaßes ſinkt die Geſellſchaft in einen wirthſchaftlichen Naturzuſtand zurück. Ein bellum omnium contra omnes bricht los, ein unaufhörlicher Kriegs— zuſtand, in welchem die Kämpfer in Folge des Grund- und Kapitaleigenthums noch dazu mit ſehr ungleichen Waffen ausgerüſtet ſind, wüthet, um diejenige Portion am Geſell— ſchaftsprodukt zu erlangen, die in ſolchem Zuſtande das Recht zu beſtimmen verſäumt oder unvermögend iſt.

Dieſe Grundzüge des heutigen Verkehrs, die lediglich das Reſultat jener Reihe von Rechtsemancipationen ſind, die von einer andern Seite für eben ſo viele Rechtsver— letzungen gehalten werden, muß man feſthalten. In ihnen liegt die Urſache jener merkwürdigen beiden Erſcheinungen verborgen, auf die ſich alle wirthſchaftlichen Leiden, die heute die Geſellſchaft heimſuchen, zurückführen laſſen, ich meine, die Urſache des Pauperismus und der Handelskriſen.

Der Pauperismus iſt ein vielbeſprochener Gegenſtand, bei dem ich mich kurz faſſen kann. Die Handelskriſen ſind

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noch nicht im Zuſammenhange behandelt, für ſie muß ich mir daher längeres Gehör erbitten. Zuerſt der Pauperismus.

Seit mehreren Decennien hat man die Bemerkung ge— macht, daß die Verarmung in ſteter Zunahme be— griffen iſt, und daß ſie in einzelnen Ländern ſelbſt in grö— ßerem Verhältniß zunimmt, als die Bevölkerung. Sie hat heute eine Ausdehnung gewonnen, daß ein ſehr großer Theil des Volkes nicht mehr aus eignen Mitteln zu leben vermag, ſondern in irgend welchem Wege auf die Unterſtützung des übrigen Theils der Geſellſchaft angewieſen iſt. Dieſe That— ſachen ſind als bekannt vorauszuſetzen, ſie werden auch von keinem Staatswirth oder Statiſtiker von Ruf beſtritten. Das Wachſen der Armenbudgets der einzelnen Kommunen im Verhältniß zum Wachſen der Bevölkerung derſelben, obgleich doch die Privatwohlthätigkeit, ſei es aus welchem Motiv ſie wolle, heute Größeres verrichtet, als je früher, iſt eine That— ſache, die tauſendfache Beläge für jene Zunahme der Ver— armung giebt. Was Büret im Großen in England nach— gewieſen hat, kann ſich bei uns im Kleinen die eigene Er— fahrung durch den Beſuch der Arbeiterquartiere in jeder Preuſſiſchen Stadt ſammeln.

Dieſer Thatſache läuft eine andere, eben ſo unzweifel— hafte Thatſache parallel, die jene noch auffallender macht: Auch der Nationalreichthum hat zu gleicher Zeit zugenommen. Nicht blos das Nationalvermögen iſt größer geworden, weil die Bevölkerung ſich vermehrt hat und die vermehrte Bevölkerung mehr producirt, ſondern, wenn man das geſtiegene Nationalvermögen auf die Köpfe der geſtiegenen Bevölkerung repartirt, kommt auf jeden Kopf eine größere Summe. Dieteriei berechnet z. B., daß in Preußen

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1815 auf den Kopf 15 Rthlr.,

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1843 en u mers kamen. Die einzelnen Summen mögen falſch ſein, die Ver— hältnißmäßigkeit der Steigerung iſt gewiß annähernd richtig. Ein ähnliches Verhältniß der Zunahme des National reich- thums hat in den meiſten übrigen civiliſirten Ländern ſtatt— gefunden, in England ein bei weitem größeres. Auch beſteht dieſe Zunahme des Nationalreichthums nicht blos in einer Zunahme der Werth ſumme, dieſe hätte ſtattfinden können, weil alle Produkte theurer geworden wären, ſo daß im Grunde daraus eine Zunahme von Mangel, der ſich ja nach der Menge und nicht dem Werth der Waare bemißt, zu erklären wäre. Dieterici weiſt in ſeinen verdienſtlichen Werken über die Produktion und Konſumtion im Zollverein nach, daß von den meiſten und wichtigſten Waaren ſteigend auch mehr Quantität auf den Kopf gekommen iſt. Ich halte mich bei dieſer Thatſache nicht länger auf, ſie iſt gleichfalls in der Statiſtik unbeſtritten.

Dieſe beiden Thatſachen gehen alſo merkwürdiger Weiſe neben einander auf: Die Verarmung in der Nation wächſt in größerem Verhältniß als die Bevölkerung, während zu— gleich auch das Nationalvermögen in größerem Verhältniß als die Bevölkerung wächſt, während alſo zu gleicher Zeit der Nationalreichthum ſteigt. Die Möglichkeit dieſer Gleich— zeitigkeit liegt offenbar darin, daß von dem ſteigenden Natio— nalvermögen nur ein Theil der Geſellſchaft, mit Ausſchluß des andern profitirt, und daß alſo jene ſtatiſtiſche Repartition, mit der die Zunahme des Reichthums bewieſen wird, wenig— ſtens inſoweit eine ideelle Täuſchung iſt, als der bedürftige

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Theil der Geſellſchaft immer nicht reicher durch die Zunahme des Reichthums geworden iſt. Selbſt wenn konſtatirt würde, daß, während der Nationalreichthum ſteigt, die Verarmung nur in demſelben Verhältniß wie die Bevölkerung zunimmt, oder, wenn die Verarmung ſelbſt abnimmt, nur nicht in dem Verhältniß abnimmt, als der Nationalreichthum zunimmt, ſo würde darin ſchon eine der grauſamſten Abweichungen von den natürlichen Regeln der Billigkeit und Gerechtigkeit liegen. Die Verſchiedenheit des Einkommens iſt in ihrem tiefſtem Grunde ſicherlich gerechtfertigt, aber unmöglich läßt ſich mit dieſer natürlichen Verſchiedenheit rechtfertigen, daß beim Steigen des Nationalreichthums der eine Theil der Geſellſchaft immer mehr, der andere immer weniger davon bekommen ſoll.

Eine genauere Betrachtung der ſtaatswirthſchaftlichen Zuſtände überzeugt davon, daß es die arbeitenden Klaſ— ſen ſind, welche dieſem unglücklichen Schickſal anheimfallen.

Man hat zwar, um dem ſchweigenden Vorwurfe, der ſchon in dieſer Bemerkung liegt, zu entgehen, den Begriff der arbeitenden Klaſſen im Gegenſatz anderer thätiger Klaſſen der Geſellſchaft angefochten, aber Sie, mein verehrter Freund, werden mir zugeben, mit Unrecht. Die Arbeit, welche mehr dem Körper als dem Geiſte angehört, mehr der Uebung als der Idee gehorcht, ſich nach Zeit und Produkt meſſen läßt, und deshalb auch maaßweiſe, nach Stunden oder Stundenzahl, vergütet werden kann, läßt ſich ohne Zweifel nach dieſen Merkmalen von jeder übrigen menſchlichen Thätigkeit unterſcheiden. Daß es eine oder die andere giebt, zwiſchen welcher und der „Arbeit“ die Grenze faſt verwiſcht ſcheint, macht die Unterſcheidung nicht ſchlechter. In der

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realen Welt bildet Alles eine allmählig ineinander gehende Kette, und man wird den Unterſchied zwiſchen einer Eiche und einem Pferde nicht beſtreiten wollen, weil es organiſche Bildungen giebt, in welchen der Unterſchied zwiſchen dem Thier und Pflanzen— reich ebenfalls verwiſcht ſcheint. Daſſelbe gilt von dem Bereich der Geſchichte, die häufig an der Hand ſolcher ineinanderlaufender Begriffe ihre höheren Stufen erklimmt. Es iſt auch hiſtoriſch be— gründet, daß grade die durch dieſe Merkmale charafterifirte Thä— tigkeit vorzugsweiſe Arbeit genannt wird. Es iſt nicht minder hi— ſtoriſch begründet, daß dieſe vorzugsweiſe „Arbeit“ genannte Thätigkeit faſt ausſchließlich einem und demſelben Theile der Be— völkerung zugefallen iſt, und es iſt daher auch eine ebenſo natür— liche als eigenthümliche Folge, daß dieſer Theil faſt ausſchließlich ſeinen Erwerb und Unterhalt in dieſer Arbeit findet, einen Unter— halt, der noch dazu von den Wohlthaten der Civiliſation bis— her ſo gut wie ausgeſchloſſen hat. Bei dem Zuſammentref— fen ſo vieler charakteriſtiſcher Umſtände haben ſich daher der Sprachgebrauch wie die Wiſſenſchaft nicht an die Einwürfe gegen den Begriff und die Bezeichnung der arbeitenden Klaſſen gekehrt. Wort und Sache könnten nur verſchwin— den, wenn einſt die Wohlthaten der Civiliſation Gemeingut, die Arbeit Gemeinlaſt in der Geſellſchaft geworden wären. Inzwiſchen aber vergilt eine inſtinctive Gerechtigkeit die größere Lebenslaſt dieſer Klaſſen mit dem ausſchließlichen Schmuck jener Bezeichnung, und mit dem Anrecht, was die Geſchichte daraus zu entwickeln im Begriff iſt.

Dieſe Klaſſen alſo, die den mechaniſchen Arbeiten faſt allein und ausſchließlich obliegen, die aus dieſen faſt aus— ſchließlich ihren Unterhalt ziehen, dieſe Klaſſen bis in die Reihen jener Kapitaliſten hinauf, die heute den „kleinen

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Handwerkerſtand“ bilden, und gleichfalls hauptſächlich „von ihrer eignen Hände Arbeit“, wenn auch am eignen kleinen Kapital leben, dieſe arbeitenden Klaſſen ſind es, die von jener Zunahme der Verarmung betroffen werden. Auf ihren Kreis beſchränkt ſich dieſe zum geſellſchaftlichen Problem ge— wordene Erſcheinung. Wenn die Statiſtik, die Selbſterkennt— niß der Geſellſchaft, auch noch ſo weit zurück iſt, daß ſie keine Zahlenbeläge für dieſe Behauptung beizubringen ver— mag, ſo überzeugt doch auch hiervon der genauere Blick in jeden kommunalen Armen-Etat. Es ſprechen auch noch an— dere allgemeine Gründe, als die Zunahme des National— reichthums überhaupt, dafür daß in den übrigen Klaſſen die Verarmung in der neueren Zeit grade abgenommen hat. Die verſchiedenartigen Kreditinſtitute, Verſicherungsanſtalten, Pen— ſionskaſſen u. dgl. ſind alle neueren Urſprungs, von unzweifel— haft ſchützender Wirkung gegen die Verarmung und kommen faſt ausſchließlich anderen Klaſſen als den arbeitenden zu gut.

Dieſe Erſcheinung iſt neu in der Geſchichte. Es hat ohne Zweifel Perioden gegeben, in welcher eine allgemeine zunehmende Verarmung ſtatt gefunden hat; eine ſolche muß die Zeit des Verfalls des römiſchen Reiches geweſen ſein. Es hat auch Perioden gegeben, in welcher eine einzelne Klaſſe unter einem vorübergehenden Drucke geſeufzt hat; davon ha— ben die Klaſſen det Grundbeſitzer und Kapitaliſten öfter zu erdulden. Aber die Geſchichte hat keine frühere Zeit auf— zuweiſen, in welcher eine andauernd zunehmende partielle Verarmung der Geſellſchaft, eine ſtete Zunahme der Ver— armung einer und derſelben Klaſſe des Volks, zugleich bei andauernd ſteigendem Nationalreichthum, ſtatt gefunden hätte. Daß am wenigſten je früher die arbeitenden Klaſſen dies

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Schickſal erduldet haben, hat in deren frühern Rechtsverhält— niſſen ſeinen Grund gehabt. Zwar Seuchen und Hunger— jahre müſſen dann und wann noch furchtbarer unter ihnen gewüthet haben, aber weder die Sklaverei, noch die verſchie— denen Stufen der Hörigkeit und Unterthänigkeit, noch das jus prohibendi des ſtrengen Zunftrechts können den Pau— perismus kennen, wenn ſie auch Schlimmeres gekannt haben. Der Sprachgebrauch hat daher auch mit einem neuen Na— men die neue Sache bezeichnet, einem Namen, der faſt ſchon durch ſeine Wortbildung daran mahnt, daß die Sache der Barbarei inmitten der Civiliſation iſt.

Kaum geringeres Leid als der Pauperismus haben die Handelskriſen der Geſellſchaft zugefügt.

Ungefähr ſeit eben ſo lange als der Pauperismus die allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſich zieht, richten in periodi— ſcher Wiederkehr ſogenannte Handelskriſen ihre Verheerungen im Verkehr an. Die äußerlichen Kennzeichen dieſer wirth— ſchaftlichen Weltplagen ſind unſchwer zu faſſen. Eine plötz— liche Stockung des eben noch ſo blühenden Abſatzes in den Hauptzweigen der Induſtrie, die ſich bald auch allen übri— gen Gewerben mittheilt; ein raſches Sinken aller Waaren— preiſe, die noch vor Kurzem ſo lohnend waren; eine bis zur Entwerthung gehende Werthverringerung der produktiven Vermögen; eine faſt allgemeine Unmöglichkeit eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen; zahlloſe Bankerotte oder Zah— lungseinſtellungen; zeit- oder theilweiſe Beſchränkung oder Einſtellung der Produktion; Brodloſigkeit von Tauſenden von Arbeitern das ſind die in raſcher Folge und Wechſelwirkung fi äußernden Symptome von Erſcheinungen, die das Kapital decimiren und dem Arbeiter auch noch ſeine Lumpen rauben.

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Dieſe Kriſen heben immer in den Weltcentren des Ver— kehrs an und pflanzen von da ihre Wirkungen bis zu den letzten Handelsplätzen beider Hemiſphären fort. Grade dort, wo ſich alle Bedingungen nationalen Wohlſtandes am üp— pigſten vorfinden, die Kapitalien am häufigſten ſind, der Kredit am ausgebildetſten iſt, die Produktivität am höchſten ſteht, die Arbeiter ſich am freieſten regen, machen ſich zuerſt jene Schläge fühlbar, die bald die ganze verkehrende Welt treffen. Auch am härteſten fallen ſie dort nieder, und in unbegreiflichem Widerſinn wird der Fluch des Elends dort und zu der Zeit am lauteſten, wo und wann die Wunder des Kunſtfleißes am höchſten aufgehäuft ſind.

So viele ſolcher Kriſen bereits über die verkehrende Welt fortgegangen ſind, ſind doch alle von Umſtänden be— gleitet, deren Gleichartigeit auf eine und dieſelbe tiefliegende Urſache ſchließen läßt. Wie die Geſchichte der Staatswirth— ſchaft ſolche Kataſtrophen erſt kennt, ſeitdem der allgemeine Frieden von 1815 den Nationen ihre ungetheilte Kraft den Schöpfungen der Induſtrie zuzuwenden geſtattete und die großen gewerblichen Erfindungen der vorangehenden De— cennien in vollerem Maaße ſich geltend machen konnten; wie dieſe Kataſtrophen alſo erſt eintraten, ſeitdem der Reichthum aller civiliſirten Nationen einen raſcheren und von fremd— artigen Einflüſſen unbehinderteren Aufſchwung genommen hat, als je zuvor, ſo iſt auch jede einzelne derſelben auf eine hervorſtechende Periode induſtrieller Blüthe gefolgt. Allen ohne Ausnahme gingen Anzeichen voran, die gerade auf ei— nen ungewöhnlichen Grad von Wohlſtand ſchließen ließen. Jedes Mal ſtanden vorher die Waarenpreiſe hoch genug, um anſehnliche Gewinne abzuwerfen; jedes Mal mehrten

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ſich die produktiven Unternehmungen in ungewöhnlicher Zahl oder hatten ihre Produktivität durch Einführung neuer Erfindungen erhöht: jedes Mal war die Kapitalanſamm— lung in ſteigendem Maaße vor ſich gegangen und der Zinsfuß geſunken; jedes Mal floſſen die Nationalban— ken, die großen Geldbehälter der Geſellſchaft, von De— poſiten und Baarſchaften über; jedes Mal hatte der Kre— dit eine Leichtigkeit gewonnen, die die Negoce von Mil— lionen geſtattete; jedes Mal war der Arbeitslohn im Stei— gen geweſen und gewährte nach jener entwürdigenden An— ſicht, welche die Höhe deſſelben nur nach dem Lohnpunkt des nothwendigſten Bedürfniſſes bemißt, ein reichliches Aus— kommen. Und auf dieſe glänzende Höhe herab ſchmetterte jedes Mal plötzlich der Blitz! Jene ganze Reihe ſich ent— wickelnder Glückſeligkeiten ſtürzte Glied für Glied raſcher, als ſie ſich an einander geſetzt hatte, wieder zuſammen. Zu— weilen hob der Verfall mit einem Anſtoß des Kredits an, zuweilen mit bedeutendem Kapitalverluſt, zuweilen mit einer Mißerndte, am häufigſten mit dem allgemeinſten und durch— greifendſten in allen Kriſen ſich wiederfindenden Symptom, mit dem Sinken der Waarenpreiſe. Der Abſatz war ge— ſtockt. In ſeinen Kanälen hatten ſich die Waaren ange— häuft, wie die Waſſermaſſe eines Stromes vor dem thürmen— den Eiſe aufſchwillt. Aber hiermit hört auch das Bild ſchon wieder auf wahr zu ſein. Der Strom richtet ſeine Ver— heerungen an, weil er ſich nun in die Niederungen und Ebenen ſtürzt; von jenem aufgeſtauten Waſſerſtrom ergießt ſich nichts in die bedürftigen Regionen der Geſellſchaft. Dieſer verheert, weil er in feiner ſtarren Anhäufung ver- harrt. Nur ſein Werth verrinnt zum Nachtheil ſeiner Be—

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fiser und zu Niemandes Vortheil in der Geſellſchaft.

eit dieſer Abſatzſtockung beginnen dann die Rückwirkungen durch jene ganze Kette von Wohlſtandsbedingungen und Reichthumsbeweiſen. Sie enden beim Arbeiter, der jetzt auf— hört, weniger als das nothdürftige Brod zu bekommen, weil er brodlos wird, der weil er ſelbſt kein Brod mehr zu kaufen hat, auch noch wieder das Brod deſſen verkümmert, der es beſitzt. Erſt wenn die Produktion zum Theil oder eine Zeit lang ftill- geſtanden hat, wenn das von der Waarenmaſſe gleichſam er— drückte Bedürfniß ſich wieder erholt hat, wenn die Kanäle wieder allmälig zu fließen anfangen, beginnt ſich hie und da wie ſchüch— tern auch die Produktion wieder zu regen, und die dunkle Aus— ſicht für Kapitaliſten und Arbeiter ſich wieder aufzuklären. Wenn denn am Ende ſolcher Vernichtungsſcenen die National— ökonomie ihre Todten zählt, ſo rechnet ſie den Ruin der Kapitaliſten nach Millionen Werthe, und den der Arbeiter nach tauſend und über tauſend Familien, die ſich niemals wieder in ihren Kellern und unter ihren Dächern aus ihrem „Elend aufzuraffen vermögen.

Von Mal zu Mal, im Verhältniß der Zunahme des Reichthums hat ſich die Furchtbarkeit dieſer Kriſen geſteigert, ſind die Opfer, die ſie verſchlungen, größer geworden. Die Kriſis von 1818, fo ſehr fie ſchon der Schrecken des Han— dels und die Bedenken der Wiſſenſchaft erregte, war ver— hältnißmäßig unbedeutend gegen die von 1828. Die letztere

ſchlug dem Kapitalvermögen Englands ſolche Wunden, daß die berühmteſten Staatswirthe die vollſtändige Ausheilung derſelben bezweifelten, ſie ward dennoch von der Kriſis von 183 übertroffen. Die Kriſen von 1843 und 1849 richte⸗ ten noch wieder ſtärkere Verheerungen an, als die voran—

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gehenden. Wenn eine ſolche Kalamifät vorübergezogen war, ſiechte der Verkehr, wie ein ſchwacher Rekonvalescent, noch eine kurze Zeit fort, richtete ſich bald lebendiger wieder auf, that nach wenigen Jahren aufs Neue Wunder der Produktion, um, wie es ſcheint, dem neuen Ungewitter nur Stoff zu größern Trümmern zu bieten. Es iſt unberechenbar, wie hoch der geſellſchaftliche Reichthum ſchon hätte geſtiegen ſein können, wenn ihn die Staatswirthſchaft vor dieſen tödtlichen Krankheiten zu bewahren gewußt hätte.

Indeſſen nach der bisherigen Erfahrung kehren dieſel— ben in immer kürzeren Intervallen wieder. Von der erſten bis zur dritten Kriſis verfloſſen 18 Jahre; von der zweiten bis zur vierten 14 Jahre; von der dritten bis zur fünften 12 Jahre. Schon mehren ſich die Anzeichen eines nahe bevorſtehenden neuen Unglücks, obwohl unzweifelhaft das Jahr 1848 deſſen Ausbruch aufgehalten hat. Es iſt als ob die früheren durch lange Zwiſchenräume getrennten Kri— ſen einen akuteren Charakter gehabt hätten, als die ſpä— teren. Mindeſtens ſind die Intervallen der letzteren nie mehr ſo vollſtändig von den Nachwirkungen der Krankheit geheilt worden. Dieſe ſpäteren und heftigeren Anfälle ſcheinen nur fruchtloſere Anſtrengungen der Geſundheit gegen ein ſchlei— chend gewordenes Leiden zu bezeichnen.

Es iſt eben ſo lehrreich, als intereſſant die Wahrheit dieſer allgemeinen Beobachtungen auch an den einzelnen Kriſen nachzuweiſen ).

) Die folgenden ſtatiſtiſchen Daten ſind aus den bewährteſten Handelsſchriftſtellern namentlich von Gülich und Mac. Culloch, ſo wie aus den vortrefflichen Börſennachrichten der Augsb. Allg. Zeit. genommen.

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Das Land England iſt in gewerblicher Beziehung die Stadt des Erdkreiſes und die übrigen Länder verhalten ſich mehr oder minder wie das weite Weichbild dieſer Stadt. Hier ſind die mechaniſchen Künſte in höchſter Blüte, hier herrſcht die Induſtrie vor, hier bringt der weite Umkreis der Stadt ſeine Rohproducte zu Markte und führt Fabrikate dafür zurück, hier fließt das Capital zuſammen, hier leihen die Staaten der Erde wie der Landmann in der Stadt, mit einem Wort, hier lebt das ausgeprägteſte Bild des heutigen Verkehrs mit allen ſeinen Eigenthümlichkeiten, ſei— nen Vorzügen wie ſeinen Fehlern. In dieſer Stadt der Welt iſt, wie es alle ſpäteren ſind, auch die erſte Handels— kriſis von 1818 ausgebrochen.

Während die Reihe von Kriegen, welche der franzöſi— ſchen Revolution folgten, das Feſtland verwüſtete, nahm England daheim ſeinen mächtigſten Aufſchwung. Alle jene wunderbaren Erfindungen von Watt, Arkwright, Crompton und Cartwright, die das mechaniſche Genie des engliſchen Volks bald noch ſo außerordentlich verbeſſerte, entfalteten während dieſer Zeit immer mehr ihre zauberartige Kraft. Die Kohlen- und Eiſenproduftion, die Zinn- nnd Kupfer- minen, die Spinnereien und Webereien ſind die Schachte des engliſchen Reichthums, erſt in dieſem Zeitraum wurde er in immer ſtaunenswertherem Maaße zu Tage gefördert. Gegen die letzten Decennien des vorigen Jahrhunderts drohte die Eiſenproduktion Englands an Holzmangel zu enden, das Gebläſe der neuen Maſchinen geſtattete die Anwendung von Coaks. Watts und Boltons Erfindungen vermochten Laſten aus der Tiefe zu heben, zu denen die halbe Bevölkerung Englands nicht genügt hätte. Damit war der Flor des

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Bergbaus für die Jahrtauſende geſichert, für die man den Koh— len⸗ und Eiſenvorrath der engliſchen Erde noch anſchlägt. Wo war der Markt, die Nachfrage, welche während dieſer Zeit ſo ungeheure Kräfte in Bewegung ſetzte und in Athem erhielte? England ſchuf ſie ſich ſelbſt! Es iſt ein merk⸗ würdiger Zufall, aber wir werden ihn faſt bei allen ſpäteren Kriſen wiederfinden, die eigenen Mittel Englands, nur in ein anderes Land verlegt, und anderen Händen übertragen, bildeten dieſen Markt und dieſe Nachfrage. Dieſe Bemer— kung iſt wichtig, denn ſie deutet ſchon in dieſer Allgemein— heit auf die Nothwendigkeit eines Gleichgewichts der Kauf— kräfte hin. Wie ſich vor der zweiten Kriſis an den eng— liſchen Anleihen, die nach dem Kontinent und Südamerika floſſen, die Produktion abermals ins Ungeheure ſteigerte, wie ſich dies von der dritten und vierten Kriſis an den An— leihen nach Nordamerika wiederholte, ſo verrichteten vor der erſten Kriſis die Subſidien Englands an ſeine Verbün— deten die Dienſte ſolchen Hebels. England zahlte während der Kriege gegen 60 Millionen Pfund Sterl. Hülfsgelder und es zahlte im Grunde 50 Millionen davon in Fabrifa- ten. An dieſem Begehr hatte ſich die Produktion in die Höhe gerichtet, vermochte ſich die Produktivität Englands zu üben und zu ſteigern. Die Maſchinen, die zu Watts Zeit mit einem Scheffel Steinkohlen 7700 Quart Waſſer aus einer Tiefe von 350 Fuß gehoben hatten, vermochten um die Zeit der erſten Kriſis zehn mal fo viel, alſo 77,000 Quart damit aus gleicher Tiefe zu heben. Die Maſchinen die zu Arkwright's Zeit in ganz England erſt 50,000 Spin— deln in der Baumwollenfabrikation gedreht hatten, ſetzten 1817 mit einer Kraft von 21 Tauſend Pferden deren ſechs

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und eine halbe Million in Bewegung. Die Steiger ung der Produktion entſprach der Produktivität. England hatte im weiteſten Maaße die Bemerkung A. Smiths bethätigt, daß Kriege nicht mit Geld, ſondern mit Waaren geführt werden und der Barbier von Preſton und der Mechaniker von Glasgow waren es geweſen, die den Kriegsfürſten aller Zeiten, Napo— leon, überwunden hatten.

Dieſe ungeheure Zunahme der Produktivität und der Produktion ſteigerte ſich noch in den nächſten Jahren nach dem allgemeinen Frieden, als die Märkte der Welt eine kurze Zeit den engliſchen Schiffen offen ſtanden. Der Dampf— webeſtuhl, obgleich 1784 erfunden, war bis 1815 kaum ge— braucht worden; im Jahre 1818 beſaß Mancheſter allein 2000 ſolcher Stühle. Von 1790 bis 1814 hatte ſich die Einfuhr von Baumwolle von 31 Millionen Pfund auf 73 Mill. Pfund gehoben; von 1814 bis 1818 ftieg fie auf 173 Millionen Pfund. Der Werth der Geſammteinfuhr Englands, der 1812 noch 25 Millionen Pf. Sterling be— tragen hatte, betrug im Jahre 1818 nicht weniger als 36 Mill.; die Ausfuhr hatte in demſelben Zeitraum von 38 Mill. auf 51 Millionen zugenommen. Der Wohlſtand des Landes entſprach dieſen Produktionsverhältniſſen. Es waren nicht blos Fabrikate, deren Menge geſtiegen und de— ren Preis gefallen war, die Produktion und der Preis der Lebensmittel waren der Art, daß ſie das Korngeſetz von 1815 veranlaßten. Der Verbrauch von Zucker, Thee, Kaffee nahm in dieſer Zeit nach dem Frieden in jenem merkwür— digen Maaße zu, das noch heute die Konſumtion Englands und ſelbſt ſeiner arbeitenden Klaſſen auszeichnet. Ungeachtet der Mißerndten von 1816 und 1817 ſtrömte das Geld vom

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Kontinent nach England zurück, fo daß in dem letzteren Jahr der Baarvorrath der Bank, obgleich die Reſtriktion noch beſtand, über 11 Mill. Pf. Sterling 29 Millionen Noten gegenüber betrug. Da plötzlich waren die Abſatzkanäle voll, und der Reichthum löſte ſich in Mangel und Elend auf. Es iſt intereſſant, aus jenen Tagen das Zeugniß eines berühmten Mannes zu hören, der durch dieſe Kriſis aus dem eifrigſten Anhänger des Smith'ſchen Syſtems deſſen entſchiedenſter Gegner wurde, Simonde de Sismondi. „Handelsberichte, Reiſebeſchreibungen, Zeitungen“ ſagt er „alle ſind voll von dieſer jede Konſumtion über— ſteigenden Produktion. Die Fabrikation richtet ſich nicht mehr nach dem Begehr, ſondern nach der Menge der Ka— pitalien, die man nur anzulegen wünſcht. Der Handel über— ſtrömt ſofort jeden neuen Markt, und ſtürzt ſich, anſtatt ge— winnbringend zu ſein, aus einem Verluſt in den andern. Die italiäniſchen Märkte waren ſo von Waaren jeder Art, namentlich engliſchen Manufakturwaaren, überfüllt, daß die Verkäufer ſie mit einem Viertel oder Drittel Verluſt ſtatt mit ſo viel Gewinn fortzuſchlagen genöthigt waren. Von Italien ergoß ſich dieſe Waarenüberſchwemmung über Deutſch— land, Rußland und Braſilien, um hier nur demſelben Man— gel an Abſatz zu begegnen. Von gleichen Verluſten wird noch aus anderen Ländern der neuen Welt geſchrieben. Auf dem Kap der guten Hoffnung klagt man ſchon im Auguſt 1818, daß alle Lager voll von europäiſchen Waaren ſeien, die, ohne Abſatz zu finden, wohlfeiler als in Europa felbft ausgeboten würden. Dieſelben Klagen hört man aus Cal— cutta. Hier hatten merkwürdiger Weiſe engliſche Baum— wollenwaaren ſchon mit den Fabrikaten der halben indiſchen

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Bevölkerung konkurriren können, und dadurch deren Loos nur noch elender gemacht; jetzt hat ſich das Blatt gegen England gewandt, und die engliſchen Waaren ſind augen— blicklich in Oſtindien wohlfeiler als in England ſelbſt. Von Neuholland muß der Ueberfluß europäiſcher Waaren wieder nach Europa zurückgeführt werden. Nicht minder aus Buenos Ayres, Columbia, Mexico und Chili. In Searons Reiſe in den Vereinigten Staaten, die ſchon mit dem Frühling 1818 beendigt wird, findet ſich daſſelbe Bild mit noch ſtär— keren Farben gemalt. Von einem Ende bis zum andern die— ſes weiten und fruchtbaren Landes iſt keine Stadt, kein Flecken, wo nicht das Waarenangebot die Mittel der Käu— fer unendlich überſteigt, obgleich dieſen durch alle denkbaren Erleichterungen, durch lange Kreditbewilligungen, Terminal— und Naturalzahlungen, der Kauf ſo anlockend als möglich gemacht wird.“

Von nun an traten die Rückwirkungen ein. Die Ausfuhr Englands fiel im Jahre 1819 von 51 Mill. Pfd. Sterl., die ſie in dem vorhergehenden betragen, auf 33 Mill., die Einfuhr in derſelben Zeit von 36 Mill. auf 29 Mill. Nicht weniger als 3552 Bankerotte waren in dieſem einen Lande und in dem einen Jahre 1819 die Folge davon. Der Baarvorrath der Bank ging wieder auf 3 Millionen 25 Mill. Noten gegenüber zurück. Das mächtige Räder— werk Arkwright's und Watt's ſchien mit aller ſeiner Kraft regungslos ſtill ſtehen zu wollen und mit ihm eine Unzahl von Arbeitern, die das Maſchinenweſen ſelbſt nur wie ein— greifende Räder behandelt. In Birmingham, Mancheſter, Glasgow verringerte ſich die Konſumtion von Fleiſch und anderen nothwendigen Lebensbedürfniſſen um ein volles Drit-

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theil. Ein Drittel Nahrungsmittel hatten alſo die arbeiten- den Klaſſen weniger zu verzehren. Eine Adreſſe der Strumpf— wirker von Nottingham ſchildert die Leiden dieſer Klaſſen eben ſo einfach als ergreifend: „Bei einer täglichen Arbeit heißt es darin von 14 bis 16 Stunden verdienen wir doch nur wöchentlich für uns, für Frau und Kind, 4 bis 7 Schillinge. Statt von der nahrhaften Koſt, die ſich ſonſt überreichlich auf den Tiſchen engliſcher Arbeiter fand, leben wir jetzt von Waſſer und Brod und Kartoffeln und Salz, und dennoch können wir verſichern, daß nicht ſelten nach der angeſtrengteſten Tagesarbeit wir und unſere Kin— der haben hungrig zu Bette gehen müſſen. Wir rufen den Himmel zum Zeugen an, daß wir ſeit achtzehn Monaten nicht wiſſen, was es heißt, nicht vom Hunger gequält zu werden.“

Aus dieſen Jahren datiren jene allgemeine Arbeiter— bewegungen, denen auch England gewaltſam unterliegen wird, wenn es ihre Vertreter nicht in ſeinen Rath zuläßt. Aus dieſen Jahren haben Owen, die St. Simoniſten und Fourieriſten die Beläge zu ihren Ideen geſchöpft. Dieſe Jahre gaben die erſte Veranlaſſung zu den Zweifeln an der Unfehlbarkeit des Smith'ſchen Syſtems und riefen jenen intereſſanten Streit zwiſchen Ricardo und Say einer- und Sismondi und Malthus anderer Seits über die Möglich— keit einer Ueberproduktion hervor, den auch Sie, mein ver— ehrter Freund, in Ihrem Aufſatz „die Tauſchgeſellſchaft“ dem Leſer vorführen.

Und doch genügten nach dieſem jähen Fall wenige Jahre, um England noch wieder auf eine höhere Stufe zu heben, als die es eben erklommen gehabt; freilich, um durch

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die zweite Kriſis von 1823 nur abermals von derſelben herabgeſtürzt zu werden.

Die Kataſtrophe von 1845 war vorüber, eine kurze Beſchränkung der Produktion hatte der Konſumtion Zeit gelaſſen, die ungeheuerſten Vorräthe zu verſchlingen, und Englands Thätigkeit und Energie ſetzten auf's Neue ſeine Produktivmittel in Bewegung. Neue Etabliſſements in allen Gewerben, vermehrte und erhöhte Maſchinenkraft ſteigerten dieſe Mittel noch in einem Maaße, hinter welchem ſelbſt das Jahr 1818 immer weiter zurückblieb. Mancheſter und Um— gegend allein waren 1824 in der Baumwollenfabrikation im Beſitz einer ſo großen Maſchinenkraft, als 1817 ganz Großbritannien. Hier allein hatten ſich die Dampfwebe— ſtühle von 2000 auf 20,000 vermehrt. Die Vermehrung der Dampfmaſchinen im Bergbau war noch von Verbeſſe— rungen begleitet geweſen. Die Eiſenproduktion hob ſich von 1816 bis 1824 von 38,000 Tons auf 600,000 Tons. Fulton's Welttheile nähernde Erfindung von 1807 frat mit dem Anfang der zwanziger Jahre zu den alten Kräften als eine ebenbürtige neue hinzu. Mit dem Jahre 1821 war daher ſchon die letzte Spur von Kalamität von 1818 ver— ſchwunden. Ein allgemeiner Flor des Handels entfaltete ſich. Vier Jahre hindurch ſtand der auswärtige Wechſelkurs hoch. Geldzufluß nach England und Geldüberfluß in England wa— ren die Folge davon. In den drei Jahren von 1822 bis 1824 ſtand die Baarſchaft der Bank ſtets im Verhältniß wie 4 zu z ihrer Verbindlichkeiten. Sie nahm ſchon im Jahre 1821 ihre Baarzahlung wieder auf, obgleich ſie es nach der Peelsbill erſt mit dem Jahre 1823 nöthig hatte. Die Regierung vermochte die Zinſen der Nationalſchuld um

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14 Millionen Pf. Sterl. herabzuſetzen, aber die Handels— gewinne waren ſo lockend, daß viele Staatsgläubiger die Auszahlung des Kapitals vorzogen. Aber ſo ungeheure Mittel würden kaum in Thätigkeit zu erhalten geweſen ſein, wenn nicht Großbritannien abermals ſich ſelbſt ſeine Nach— frage im Auslande geſchaffen hätte. Von 1821 bis 1824 betrugen die Anleihen, die der Kontinent und die ſüdamerikaniſchen Freiſtaaten in England machten, 43 Millionen Pf. Sterl., und man darf abermals rechnen, daß 30 Mill. davon für engliſche Fabrikate zurück— kehrten. Nun war erſt der Wind gegeben, der die Segel der engliſchen Produktion noch ſtolzer ſchwellen konnte. Eine unerhörte Gewerbthätigkeit begann ſich zu regen. Zu der Vermehrung und Erweiterung der bisherigen Eta— bliſſements bildeten ſich 245 neue Geſellſchaften mit einem Nominalkapital von über 159 Mill. Pf. St., einem einge— zahlten Kapital von 174 Mill. Daſſelbe wurde faſt ganz in ſüdamerikaniſchen Unternehmungen angelegt und gab damit ein neues Gewicht für die Nachfrage engliſcher Waaren ab. Eine unglaubliche Leichtigkeit des Kredits unterſtützte alle Spekulationen. Die Ein- und Ausfuhren ſtiegen zuneh— mend bis in's Jahr 1825. Die durchſchnittliche Ausfuhr der eigenen Erzeugniſſe Englands in den beiden Jahren 1824 und 25 betrug 47 Mill. Pf. Sterl., während die der Jahre, welche der erſten Kriſis vorangingen, nur 32 Mill. betrug. Der Baumwollenwaaren-Export allein, der 1820 ſchon die Summe von 20 Mill. Pf. Sterl. betragen hatte, hob ſich 1825 auf über 26 Mill. In allen Zweigen des Nationaleinkommens äußerte dieſe Reichthumsvermehrung ihre wohlthätige Wirkung. Die Gewinne beförderten eine immer

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reißendere Kapitalanſammlung. Der Arbeitslohn ſtieg wie— der auf die Höhe der beſten Zeiten Alt-Englands. Die Grundrente nahm einen neuen Aufſchwung durch die ver— mehrte Konſumtion von Viktualien aller Art Seitens der arbeitenden Klaſſen. Die Miniſter beglückwünſchten das Par— lament wegen der Zunahme des allgemeinen Wohlſtandes: es habe ſeit 1816 der inländiſche Verbrauch von

Bier um 164 Prozent, Thee 20 2 Kaffee 3 5 Branntwein * 39 e Papier 2 e Baumwollenwaaren = 119 z

zugenommen. Gegen das Ende 1824 ſchienen die Vorräthe aller Art ſo eingeſchmolzen, daß man bei dem Ueberfluß von Kapital Mangel an Material befürchtete. Eine allgemeine Preisſteigerung bis gegen die Hälfte des Jahres 1825 war das Reſultat dieſer Beſorgniſſe. Es ſtieg der Preis

von Kaffee über 30 Prozent, „Talg und Tabak eh e‚

2 Zucker 88 z

- Eifen „76 - „Salpeter - 80 z

= oſtindiſcher Baumwolle - 95 z

- amerifanifcher . > - 100

Und die Länder der Erde antworteten nun auf dieſe ge— ſteigerte Nachfrage mit ihren Reichthümern. Es war die Durchſchnittseinfuhr in England geweſen

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in den Jahren 1822, 23 u. 24 und war im Jahre 1825

von Wolle 20 Millionen Pfd. 40 Mill. Pf. - Baumwolle 161 Mill. Pf. 229 z Seide 24 Mill. Pf. Ze 34 2 „Flachs 600,000 Pf. 1 4

Und mit einem Male zerrannen wieder dieſe Reichthümer!“ Die an's Ausland geliehenen oder dort angelegten Kapitalien ſchienen ihre Wirkung erſchöpft zu haben. Eine Windſtille des Begehrs trat ein und das Schiff ſaß an derſelben Klippe feſt, an der es 1819 geſtrandet war. Sieben Monate nach jener Preisſteigerung waren die Preiſe von

Baumwolle von 18 Pence auf 7 P.,

Kaffee 88 Sch. 0 Salpeter 36 Sch. 23 Pfeffer z 92 P. 5 P. Macisnüſſe - 23 S. ʒ⸗ 4 S. Tabak z 62 P. ʒ⸗ 32 P.

gefallen. In denſelben Verhältniſſen waren auch die Ka— pitalien verloren gegangen. Mit den Kapitalverluſten fiel auch das ſtolze Gebäude des Kredits in Trümmer. In den drei Monaten Dezember, Januar, Februar 1823 bra- chen 80 Landbanken in England. Ende 1825 beſaß die Londoner Bank 32 Millionen Verbindlichkeiten gegenüber, nur noch Eine Million Baarſchaft in ihren Kaſſen. Sie kam um Erneuerung der Reſtriktion ein, die ihr abgeſchlagen ward. Um den weitern Abfluß des Goldes in den inneren Verkehr zu verhindern, der bei dem Bruch der Landbanken an— derer Cirkulationsmittel bedurfte, beſchloß ſie Einpfundnoten auszugeben, wozu ſie noch berechtigt war. Die Anfertigung derſelben würde ſo viel Zeit geraubt haben, daß einſtweilen

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ihr Bruch unvermeidlich geworden wäre. Da fand ſich zu— fälliger Weiſe in ihren Gewölben noch aus älterer Zeit her eine Kiſte mit einer Million Einpfundnoten, die der Ver— nichtung entgangen waren; dieſe wurden jetzt ausgegeben. „So weit ich es beurtheilen kann ſagte bald darauf ein berühmter Kaufmann vor dem Ausſchuß des Unterhauſes rettete dieſe Maaßregel den Kredit des Landes.“ Der— ſelbe Miniſter, der noch vor wenigen Monaten dem Parla— ment ſeinen Glückwunſch dargebracht hatte, geſtand: „Das ganze Land war auf dem Punkte, binnen 24 Stunden ver— tauſcht werden zu müſſen.““) Das Räderwerk Englands war abermals gehemmt worden, und inmitten eines nie ge— ſehenen Ueberfluſſes von Waaren verloren die Kapitaliſten ihre Vermögen und wurden die Arbeiter in das Elend zu— rückgeſchleudert, dem ſie ſeit wenigen Jahren erſt entronnen waren.

In der zweiten Ausgabe ſeiner „Nouveaux principes d'économie politique“ ſchildert Sismondi auch noch dieſe zweite Kriſis in allgemeinen Zügen. „Sie iſt heißt es heftiger wiedergekehrt als je. Den Fabriken fehlen Be— ſtellungen und Abſatz. Die Löhne ſind unter den nothwen— digen Unterhalt gefallen, und dennoch finden viele Arbeiter keine Arbeit. Die Kapitalien der Fabrikanten ſtecken in den Waarenvorräthen, welche die Lager überfüllen. Ueberall Mißverhältniß zwiſchen Produktion und Konſumtion. Das Elend des Volkes iſt groß und dauert vielleicht lange, denn der falſche Glanz des vorigen Jahres hat die Lage Eng—

) Vergl. Stellung und Ausſichten des Welthandels u. ſ. w. von Vincent Nolte.

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lands außerordentlich verſchlimmert. England hat den ver— ſchiedenen Staaten, die bei ihm geliehen haben, 40 Mill. Pf. St. eine Milliarde vorgeſchoſſen und eben fo viel den verſchiedenen Geſellſchaften, die ſich in jene rieſenhaften Unternehmungen eingelaſſen hatten. Dieſe beiden in den letzten zwei oder drei Jahren verausgabten Milliarden laſſen ſich in den nächſten zwei oder drei Jahren nicht noch einmal ausgeben, ja es iſt ſelbſt wahrſcheinlich, daß die Zinſen je— ner Anleihen lange auf ſich warten laſſen werden. An die Stelle der künſtlichen Steigerung, welche die Konſumtion durch die Anleihen erfahren hatte, muß daher jetzt ein un— geheures Deficit treten.“ Und an einer anderen Stelle: „Man darf die Größe des Elends nicht blos nach der Zahl der Bankerotte beurtheilen. Die, welche Stand gehalten haben, haben meiſtens eben ſo viel verloren, als die, welche zu Grunde gingen; die Einen haben nur den letzten Heller auch noch verloren, die Anderen haben ihn noch behalten. So ſind alle Klaſſen der Geſellſchaft ohne Unterſchied ge— troffen worden, und in den ſchlimmſten politiſchen Kriſen ſind Verlegenheit, Verluſt und Schrecken nicht ſo groß ge— weſen. Ungefähr ſieben hundert der reichſten Familien der Nation ſind plötzlich ruinirt, die Sparpfennige der Armen, die in den Privatbanken angelegt waren, ſind verloren ge— gangen, die Reſerveſummen, welche die Vermögenden für ihre laufenden Ausgaben vorräthig zu halten pflegen, ſind verſchwunden, und die meiſten Fabrikanten können nicht mehr arbeiten laſſen, weil ſie kein Geld haben, um Lohn zu zahlen.“ ;

So Sismondi, der die damals ziemlich allgemein ver— breitete Meinung getheilt zu haben ſcheint, daß dieſe zweite

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Kriſis als der Beginn des Verfalls engliſcher Handelsgröße zu betrachten ſei. Dennoch ſtand dieſe im Jahre 1836Ffchon wieder blühender da, als je zuvor, um freilich im Jahre 1837 einer noch furchtbareren Kalamität zu unterliegen. Man kann die von jetzt an auf einander folgenden Kri— ſen nicht verſtehen, wenn man ſich nicht die ſeit den zwan— ziger Jahren veränderten Verkehrsverhältniſſe klar macht. Zwei Umſtände waren es, welche vorzugsweiſe auf dieſe Veränderung hingewirkt hatten: die Dampfſchifffahrt, z